„Jahrmarkt der Träume“ – ein Gespräch mit Angela Zumpe
Angela Zumpe habe ich vor fünf Jahren kennengelernt. Sie hatte im Jahr 2017 den Dokumentarfilm „Pfarrers Kinder – Punks, Politiker und Philosophen“ gedreht. Der Kurator Bodo-Michael Baumunk hatte uns zusammengebracht. Als Filmemacherin und bildende Künstlerin arbeitet sie im Kulturhaus Schöneberg und lehrte (seit 1998) als Professorin für Audiovisuelle Medien in Dessau. Wir haben uns seither nicht aus den Augen verloren. Jetzt arbeitet sie gemeinsam mit dem Theaterautor Oliver Held an der szenischen Produktion JAHRMARKT DER TRÄUME, deren Vorspiel und Konzeption am 27. Mai im Nelly-Sachs-Park präsentiert wird. Vorlage ist ein frühes Puppenspiel der Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs.
HH: Hallo Angela! Wir reden heute über Dein Projekt. Worum geht es?
AZ: In unserer Nachbarschaft befindet sich ein noch gar nicht so alter Park. Er verdankt seinen Namen der Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs und befindet sich im Niemandsland zwischen Bülowbogen, dem Gleisdreieckpark und der Kurfürstenstraße. Der Park ist ein kleines etwas verwahrlostes Schmuckstück.
HH: Wir müssen vielleicht erst über den Park als einer Bühne im Abseits sprechen. Abgesehen davon, dass es ein Graureiher-Pärchen gibt, das fast täglich anmutig auf dem schmiedeeisernen Zäunchen der kleinen Insel im Park Modell steht, ist er auch Schauplatz für alltägliche Minidramen von Drogenabhängigen, Huren und ihren Freiern, er ist auch Zuflucht für Obdachlose. Am Rand steht seit kurzem eine Wall-Toilette, die jeden Tag von neuem verwüstet und wieder instand gesetzt wird. Demnächst werde ich mit einem Menschen reden, der täglich gegen die Verwahrlosung zu kämpfen hat.
Es gibt in diesem Park auch die Parkläufer, eine wunderbare Erfindung ambulanter Intervention. Parkläufer*innen sind wetterfest, teamfähig, zuverlässig, verantwortungsbewusst und verfügen zum Teil auch über eine Sicherheitsausbildung. Sie sprechen nicht nur deutsch, sondern auch thai, vietnamesisch, rumänisch, polnisch, ukrainisch oder russisch. Sie sind Chronisten und mitfühlende radelnde Passanten in mehreren Parkanlagen Berlins. Mit anderen Worten: im Nelly-Sachs-Park haben wir es mit einer sozialräumlichen Bühne zu tun, die nun von Dir und einem Künstlerteam mit einem Stück bespielt wird. Worum geht es in diesem Stück?
AZ: Es geht um das Puppenspiel „Jahrmarkt der Träume“.
Das Stück ist entstanden in einer Episode frühen Liebeskummers. Nelly Sachs hat es im Jahr 1920 geschrieben, da war sie ca. 29 Jahre alt. Zu der Zeit gab es einen unbekannten Geliebten, vom Vater nicht geduldet, der sie später auch in ihrer Lyrik beschäftigen wird. In dem Stück sucht sie Zuflucht in einer fantastischen Welt mit Narren, Gauklern, Prinzen und Elfen, einer Seiltänzerin, einem Dudelsackpfeifer und einem Aschenputtel, verschiedene Paarkonstellationen werden durchgespielt. Ihre Heldin ist das Fräulein Irmelin. Sie taumelt durch eine magische Welt voller seltsamer Ereignisse und Figuren. Als Bühne dafür eignet sich der kleine verwunschene Park perfekt. Die Liegewiesen und die kleine Insel im Weiher sind der ideale Rahmen für das Traumspiel. Das Waldfräulein Irmelin ist Schutzherrin über das Schicksal von unglücklich Verliebten. „Ich sehe wohl, ich sehe wohl, die Menschen tun ihr Tagwerk ohne Rast, doch ohne Sehnsucht, ohne Traum sie leben wohl, doch wissens kaum.“ Schöner lässt sich der alltägliche Reigen von Sehnsucht und Missgeschick in dieser Nachbarschaft kaum beschreiben.
HH: In der Tat wird der Park so zu einem Zaubergarten. Unverhofft sprang im letzten Sommer ein nackter Mann in den Weiher, auf einer Bank im Rondell gab eine ältere Frau einem Mann um die Mittagszeit einen schnellen Blowjob, in der Abenddämmerung treffen sich Pärchen, kürzlich war die Insel die verzauberte Kulisse für ein romantisches Ja-Wort.
AZ: Wir haben eine wunderbare Szene gedreht, in welcher der tote Fischer aus dem See auftaucht, um seine Witwe zu besuchen. Wir haben uns für die Form des kinoischen Theaters entschieden, d.h. wir zeigen ein live gespieltes (teilweise improvisiertes) Theater, das durch mehrere Kameras, durch Montage und eine integrierte Projektionsfläche für die Zuschauer in Echtzeit zu einem Open Air-Kinoerlebnis aufbereitet wird.
Am 27.Mai werden wir natürlich noch nicht das ganze Stück zeigen, sondern einige Szenenausschnitte, die den Transfer von der filmischen zur szenischen Realisierung deutlich machen.
HH: Kürzlich wurde der Weiher über mehrere Tage von einem aus NRW angereisten Reinigungsschiff gesäubert. Was da alles raus kam: Fahrradkadaver, vergiftete Fische, Müll allen Kalibers, der Kontrast zur Romantik von Eurem Projekt könnte kaum größer sein.
AZ: Von dem Kontrast lebt unsere Idee. Die Rechte für die Aufführung haben wir von Hans Magnus Enzensberger erhalten. Er war der Vertraute und Lektor von Nelly Sachs und sie hat ihn zu ihrem Sachwalter berufen. Die Corona-Pandemie hat uns viel Zeit geschenkt, die Geschichte des Stückes zu recherchieren. Ich bin nach Dortmund gereist. Dort gibt es ein Nelly Sachs Archiv und die Stadt Dortmund verleiht jährlich den Nelly-Sachs-Preis. Ein sehr freundlicher Archivar hat mir in der Stadtbibliothek Einblick in die Sammlung von Walter Berendsohn ermöglicht. Berendsohn war ein früher Freund und Förderer von Nelly Sachs. In ihrem Briefwechsel habe ich weitere Traumstücke von ihr und einiges zu ihrem biographischen Hintergrund gefunden. Aber sie wollte die frühen Sachen nicht in ihre Gesamtausgabe aufnehmen. Der junge Enzensberger hat Sachs als größte Dichterin gefeiert, die damals in deutscher Sprache schrieb. Ihre frühen Stücke hat Sachs Enzensberger überlassen.
HH: „Jahrmarkt der Träume“ – was können wir uns darunter vorstellen? Unsere Traumregisseure kommen ohne Tanzbären, Marktschreier und Tambourmajore aus. Sie verwandeln uns, machen Kleines groß, Großes klein, sie sind still, aber wühlen uns auf. Wie finden in dem Stück Jahrmarkt und Träume zusammen?
AZ: Es geht um Elfen in dem Text, nicht um die hellen engelsgleichen weiblichen Figürchen, sondern um die schwarzen im Dunkel der Seele. Ich muss daran erinnern, dass Nelly Sachs in frühen Jahren unglücklich verliebt war und eine psychische Krise erlebte. Sie wurde magersüchtig. Ihr Nervenarzt war der Neurologe Richard Cassirer. Er ermutigte seine Patientin zum Schreiben. So wurde sie Dichterin aus Liebeskummer. Therapeutisch nutzte er damals Bilsenkraut und Kokain. So finden Halluzination und Dichtung zusammen, öffnen eine Traumwelt, ermöglichen einen anderen Bewusstseinszustand.
HH: Ist es nicht eine historische Ironie, dass Ihr dieses Stück an diesem Ort aufführt? Die leichten Mädchen und die schweren Jungs, die Dealer und ihre Verstecke, sie sind ja ganz und gar nicht Traumkulisse, sondern harter prosaischer Alltag.
AZ: Aber Nelly Sachs war auch den Ideen der Reformbewegung zugeneigt. In ihren frühen Frauenfreundschaften gab es auch Momente einer anderen Welt. Poesie, Malerei, Ausdruckstanz, Körperarbeit waren damals Möglichkeiten für ein liberaleres Leben, auch für junge Frauen, also ein Ausbruch aus dem patriarchalen Gesellschaftsbild.
Und in den 20er Jahren gab es auch Drogen, man berauschte sich u.a. an einer Droge aus dem Amazonas, der Ayahuasca-Liane, die von den Indianern für ihre Rituale genutzt wurde.
HH: Jetzt ist das ein touristisches Ritualpaket für eine Auszeit von der Zivilisation.
AZ: Das Stück ist eine Einladung zum substanzfreien Rausch. Die Dichterin findet durch ihr Schreiben aus einer langen Krise heraus: sie war einsam, der Vater viel älter als die Mutter, die Mutter oft auf Reisen, anfangs erhielt sie Unterricht von Privatlehrern. Heute würde man sie eine vernachlässigte höhere Tochter nennen. Ihre Mutter nahm sie manchmal auf Reisen in Kurorte und ihre Hotels mit, was ihr früh zu einem weitgespannten Horizont verholfen hat, weitaus moderner als das im Berliner Alltag für denkbar gehalten worden wäre. Früh beginnt sie, Gedichte zu schreiben, Gedichte an den früh gestorbenen Geliebten. Novalis und die Romantik grüßen von Ferne. Die „Hymnen an die Nacht“ von Novalis waren frühe Lieblingslektüre. Mehr zur Biographie von Nelly Sachs ist hier nachzulesen.
In unserem Stück trauert nicht nur die Fischersfrau Anne-Margarete, die ihre „große Liebe“ bereits hinter sich hat. um den Fischer, der aus dem Wasser steigt und sie besucht. Tobias, der Flugpionier, träumt sich zur Seiltänzerin, das Aschenputtel, das ihre Liebe zum angehimmelten Prinzen aus Schüchternheit nicht ausdrücken kann, sie wird vom Narr ermutigt. Plötzlich beginnen Fische zu sprechen und blühende Apfelbäume auf ihren Wurzeln zu laufen.
Es sind die Elfen aus Irmelins Gefolge, die uns die Botschaft und Erkenntnis von JAHRMARKT DER TRÄUME als Epilog im Chor nahebringen.
„Aber die Liebenden, sie erinnern sich schön,
wenn sie wie Sterbende an ihrer Sehnsucht vergeh´n.“
Hier ist schon eine Essenz aus dem Werk von Nelly Sachs zusammengefasst: Liebe ist für sie immer mit dem Tod verbunden.
Wir haben die Geschichte weitergesponnen und uns gefragt, wie das gewesen sein könnte. Die Freiheit des Theaters und des Films verstehen wir als Möglichkeitsraum: wie könnte es gewesen sein? Und hier verbinden wir den poetischen Text in Reimform mit modernen Rhythmen unseres Komponisten Ilja Coric und meiner digitalen Bildbearbeitung z.B. des Zauberwalds. Ein anschließender Rave im Park könnte das Stück weiter in die Jetztzeit befördern …
HH: In der epischen Tradition von Peter Stein wäre das Stoff für mehr als fünf Stunden. Wie viele Seiten hat das Stück?
AZ: Das Manuskript hat zwölf Doppelseiten, sehr überschaubar, aber mit einer Kosmologie, einem Weltgedicht, einem Panoptikum, das unsere Phantasie beflügelt.
HH: Was ihr da macht, ist eine Welturaufführung, über hundert Jahre, nachdem das Stück geschrieben wurde!
AZ: Ja. Zur Umsetzung ist der Park zauberhaft geeignet: mit dem Spielplatz, dem Weiher. Daher werden wir das Stück an mehreren Schauplätzen gleichzeitig aufführen.
HH: Das Publikum kann am Geschehen vorbei spazieren?
AZ: Ja, auch durch die Szenen laufen.
HH: Kommt es auch dazu, dass leibhaftig Drogen verabreicht oder genossen werden?
AZ: Das nicht, aber die Bilder und Szenen, so wie wir sie inszenieren, haben selbst etwas Rauschhaftes. Es gibt die Gaukler, die fahrenden Leute, die Engel und die Traumgestalten. Am 27. Mai gibt es die Einführung. Wir wollen damit Neugier für die Umsetzung und das eigentliche Stück wecken. Im nächsten Jahr ist dann hoffentlich die Premiere des gesamten Stückes. Dafür müssen wir noch weitere Förderer gewinnen.
Vorab danken wir dem Spendenfonds Schöneberg Nord für die Anschubfinanzierung, die es uns ermöglicht hat, das Konzept zu entwickeln und einen ersten Einblick in die Produktion zu geben. Mit dem Regisseur Tobias Lenel gibt es Ideen, biografische Momente aus dem Leben von Nelly Sachs erfahrbar zu machen und dabei die Balkons von Häusern um den Park in die Inszenierung einzubeziehen und später die Nachbarschaft zu einem großen Gastmahl im Park zu versammeln. Die Grenzen zwischen Inszenierung und dem leibhaftigen Leben werden so durchlässig.
HH: Vielen Dank. Ich bin gespannt.
1 thought on “„Jahrmarkt der Träume“ – ein Gespräch mit Angela Zumpe”