Bildung ist Botschaft und Stadtteile haben Mütter: Ein Gespräch mit Nurten Hirik

Nurten Hirik habe ich in der Jury des Spendenfonds kennengelernt. Sie ist in Berlin geboren und lebt seit über 40 Jahren in der Stadt. Sie engagiert sich seit elf Jahren ehrenamtlich als Bildungsbotschafterin. Seit August 2021 ist sie hauptamtlich als Stadtteilmutter im Pestalozzi-Fröbel-Haus beschäftigt. Ihre Arbeit ist besonders hilfreich in Schulen an sozialen Brennpunkten. BildungsbotschafterInnen engagieren sich für ein gutes und entspanntes Miteinander an den Schulen.

Ich treffe Nurten via Zoom. In der Pandemie bleibt es dabei, aus Gründen des gegenseitigen Schutzes.

HH: Hallo Nurten, wie schön, dass das klappt und danke für die Zeit! Wer sind die BildungsbotschafterInnen?

NH: BildungsbotschafterInnen sind Eltern, die eine bestimmte Ausbildung haben. Sie engagieren sich in der Kita und in der Schule ihrer Kinder. Wir bringen als Mütter unsere eigene Erfahrung ein.

HH: Was ist das Ziel der BildungsbotschafterInnen?

NH: Wir haben es damals selbst erlebt, als wir Schüler waren hier in Berlin. Unsere Eltern konnten kein Deutsch. Wenn es an den Schulen Probleme gab, hatten sie Schwierigkeiten mit den Lehrern. Wir haben uns gesagt, wir möchten das nicht wieder erleben. Die Eltern gehören zu den Schulen wie ihre Kinder und sollen nicht vor den Toren draußen bleiben. Das ist ein Dreieck: Eltern, Lehrer, Schüler. Zusammen können wir uns für die Bildung engagieren. Unser Ziel war vor allem, die Kommunikation zwischen allen Beteiligten zu verbessern. Wir möchten unsere Kinder auf ihrem Bildungsweg begleiten. Ich möchte, dass mein Kind und die anderen Kinder gerne zur Schule gehen und dass sie glücklich sind. Denn das ist das wichtigste. Wie schaffen wir es, das Potenzial von den Kindern zu sehen, nicht nur ihre Noten, und sie so auf Zukunft vorzubereiten? Darum geht es uns. Das können wir auch erreichen, wenn wir sie danach fragen, was sie glücklich macht. Oft sind es ganz einfache Sachen wie zum Beispiel, dass sie in ihrem Tun bestätigt und anerkannt werden. Einfach auch mal sagen: „Das hast du aber toll gemacht!“ Das geht uns doch ähnlich. Ich finde, die Kinder arbeiten selber sehr schwer, auch wenn wir das nicht wahrnehmen. Daher ist es nicht zu viel verlangt, wenn wir sie loben und bestätigen.

HH: Wie hat deine Arbeit begonnen?

NH: Ich habe nach meinem Kurs in einer Kita angefangen und da schon Veränderungen möglich gemacht. Das war eine rein ausländische Kita in der Bülowstraße. Da habe ich mit dem Familienzentrum zusammengearbeitet, Es war anfangs nicht einfach. Wie können wir etwas verbessern? Wie können wir auch andere mit ins Boot holen? Das haben wir in der Kita erreicht. Durch ein Eltern-Café, durch Zusammensitzen, Aussprechen und Mundpropaganda. Das ist uns sehr gut gelungen. Später ist mein Sohn dann auf die Neumark-Grundschule gegangen. Die war eine Brennpunktschule. Das lag vor allem an der Kommunikation zwischen den Eltern und den Lehrern. Die haben beide einfach Ängste gehabt, Lehrer und Eltern. Es gab zwischen ihnen keine gleiche Augenhöhe und die Eltern hatten Angst davor, mit den Lehrern und den Erziehern zu sprechen.

Ihre Furcht war, wenn ich jetzt etwas sage, behandeln die vielleicht mein Kind falsch. Oder die gehen mit meinem Kind nicht so gut um. Die hatten vorher immer alles eingesteckt. Also die Generation unserer Eltern. Und wir haben gesagt: Nein, wenn wir darüber reden können, wie ein Kind lernen muss, dass es einen Schreibtisch haben muss, auch wenn es nur ein Küchentisch ist. Wenn die Mutter einfach da ist, vielleicht in der Küche arbeitet, aber bei dem Kind ist, und das Kind diese Nähe zur Mutter hat, dann lernt es viel besser. Das wollten wir den Eltern beibringen und das wollten wir der Lehrerschaft beibringen. Das hat ganz gut geklappt. In der Neumark-Grundschule hatten sie vor acht Jahren nur zwei erste Klassen.

HH: Das ist die Schule in der südlichen Steinmetzstraße?

NH: Ja. Und durch unsere Einsätze, durch uns und durch die BildungsbotschafterInnen haben wir etwas erreicht, was wirklich traumhaft ist. Die Eltern von den deutschen Kindern wollen ihre Kinder nicht mehr an andere Schulen ummelden.

HH: Das kam tatsächlich vor, dass Eltern ihre Kinder an einer anderen Schule anmelden wollten, weil sie meinten, da seien zu viele ausländische Kinder?

NH: Genau so war das.

HH: Oh je!

NH: Meine anderen Kinder waren ja an der Werbellinsee-Grundschule. Die ist sehr beliebt. Da sind auch Akademikerkinder. Das war vorher auch mein Einzugsgebiet, aber als ich mir eine Wohnung gekauft habe, war sie im Einzugsgebiet der Neumark-Grundschule. Ich hatte da viel drüber gehört und mein Coach hat mich animiert: „Du willst doch hier was verändern im Kiez. Du willst doch auch die Schule und die Kitas verändern? Dann musst du den ersten Schritt machen. Ich war echt skeptisch. Ich traute mich nicht.

Mit Bauchschmerzen habe ich dann doch meinen Sohn angemeldet und dann gesehen: Oh, das sind ja ganz nette Lehrer und ganz nette Erzieher. Eine Lehrerin hatte auch einen Sohn im gleichen Alter wie mein Sohn. Die konnte ganz gut mit meinem Sohn. Die Klasse aber war ein bisschen schwierig. Die Lehrerin konnte damit ganz gut umgehen und das hat ihm auch gefallen. Und dann habe ich mich als Bildungsbotschafterin auch selbst an der Schule eingesetzt: für die Lehrer, für die Eltern und ich begleite auch das Eltern-Café. Es ist wirklich sehr gut angelaufen. Auch meine Kolleginnen haben sich gut eingesetzt.

HH: Du erwähntest eben den Namen Heinz, das ist dein Coach. Wie bist du zu deinem Coach gekommen?

NH: Mein Coach ist unser Dozent, der uns unterrichtet hat.

HH: Die Eltern?

NH: Ja, die Eltern. Die BildungsbotschafterInnen müssen einen Kurs durchlaufen. Und dann müssen sie auch noch einen Aufbaukurs machen. Das ist kostenlos.

HH: Was läuft in diesen Kursen?

NH: In den Kursen geht es darum: wie lernt ein Kind? Wie redet man mit einem Lehrer? Wie redet man mit anderen Eltern, zum Beispiel, wenn sie ein Problem haben. Wie fängt man sie auf? Wie kann man sie erst mal beruhigen? Und wie kann man mit ihnen und den Lehrern ins Gespräch kommen? Wie können wir zusammen ein Win-Win erreichen?

Wenn wir nicht über die Probleme sprechen würden, dann explodiert das. Im Gespräch findet man einen Lösungsweg. Wenn ein Kind zum Beispiel Schwierigkeiten hat. Manche Eltern verstehen das auch falsch, wenn sie hören, ihr Kind muss gefördert werden, die kriegen Angst, hm, ist mein Kind blöd, oder so? Wenn wir mit ihnen reden, dann können wir ihnen klar machen, das ist gut für das Kind, das braucht es noch und es wäre gut, wenn es noch Unterstützung kriegt. Und wenn die sehen, Nurten ist dabei, sie hat die Lehrer verstanden, und versucht, mir und meinem Kind zu helfen, dann sind die auch offener.

HH: Gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Wann sind die BildungsbotschafterInnen gegründet worden?

NH: Vor über elf oder zwölf Jahren. Ich war im zweiten Kurs mit dabei.

HH: Du bist eine Pionierin?

NH (lacht): Ich bin schon eine alte Oma.

HH: Gibt es Anlässe, die zu der Gründung der BildungsbotschafterInnen geführt haben? Kannst du ein paar Probleme beschreiben, die zu der Initiative geführt haben?

NH: Es ist dazu gekommen, weil damals viele Eltern nicht zum Elternabend gekommen sind. Da hatte man sich überlegt, was kann man verändern, wie können wir die Eltern dazu gewinnen, dass sie zu den Elternabenden kommen und dass sie sich auch in den Schulen einsetzen und einen Fuß in die Schule kriegen. So ist das Projekt entstanden.

HH: Wie ist es gelungen, die Scheu davor zu überwinden, zu den Elternabenden zu kommen? Wie habt ihr das geschafft?

NH: Es war auch nicht sehr leicht. Das muss ich ehrlich sagen. Weil wir die Probleme aus unserer eigenen Schulgeschichte kannten. Deswegen konnten wir auch besser daran arbeiten. Wir hatten ja auch die Sprache jetzt und konnten uns ausdrücken, was uns bewegt, was wir gemeinsam verändern wollen. Ich sag immer: Mein Kind steht um sechs Uhr dreißig auf, sieben Uhr, kurz nach sieben geht er los, ist bis 16 Uhr in der Schule, kommt um 17 Uhr nach Hause und hat dann vielleicht noch Sport. Acht Stunden ist mein Kind in der Schule. Das ist ziemlich lange und da möchte ich ein Mitrederecht haben. Wir müssen gemeinsam mit den Kindern arbeiten. Wir haben ein Mitrederecht. Ich muss wissen, wer unterrichtet da mein Kind? Wer sind diese Menschen? Ich möchte darüber Bescheid wissen.

HH: Wie haben die Lehrer und wie haben die Schulen auf die Initiative der BildungsbotschafterInnen geantwortet?

NH: Die hatten Scheu. Aber ich hatte das Glück, eine Lehrerin zu haben, die mich verstanden hat und meine Einsätze in der Schule immer unterstützt hat. Dann hatten wir das Eltern-Café und das war erst mal so „tratschen die da über uns?“ Die hatten Angst gehabt, dass wir uns in ihre Arbeit einmischen. Aber das war überhaupt nicht unser Gedanke oder unser Ziel. Sie haben dann gesehen, die reden da, aber nicht über Namen oder Personen. Wenn es ein Problem gab, das uns bewegt hat, haben wir natürlich im Eltern-Café darüber geredet.

HH: Kannst Du ein Beispiel geben?

NH: Sagen wir mal, ein Kind hat ein Problem. Es wurde in der Schule gehauen. Eltern sind zu uns gekommen. Und da war ein Erzieher, der sich nicht darum gekümmert hat. Der war auch auf dem Hof. Darüber haben wir uns im Elterncafé ausgetauscht. Eine Bildungsbotschafterin hat dann einen Termin mit den Eltern und dem Erzieher ausgemacht und die haben sich zusammengesetzt und gefragt, warum er auf dem Schulhof nicht eingegriffen hat. Und natürlich auch, wie es besser anders gehen könnte, was man anders machen kann.

HH: Das stell ich mir nicht ganz einfach vor. Sehe ich das richtig? Man sitzt und druckst herum. Was wollen wir jetzt? Verliere ich mein Gesicht, wenn ich das Problem benenne? Es gibt die Eltern. Es gibt ihre Kinder. Da gibt es ein klares Interesse. Mein Kind soll etwas lernen und soll es gut haben auf der Schule, voran kommen. Dann gibt es die Lehrer, die sagen, das ist mein Job. Was wollt ihr da mit reden? Das ist der Startpunkt für eure Arbeit, oder?

NH: Ja, das war auch so. Die hatten Angst gehabt, dass wir uns in ihre Arbeit einmischen. Das hat wirklich lange gedauert. Wir sind seit acht Jahren an der Schule. Die haben inzwischen gesehen, wir wollen uns wirklich nicht in ihre Arbeit einmischen. Sie wollen uns wirklich unterstützen bei Elternabenden und bei der Kommunikation. Die wollen uns helfen bei den Festen, bei Veranstaltungen, bei Projekten oder wenn sie Ausflüge machen. Sie haben dann auch die andere Seite gesehen. Das ist das schöne.

HH: Wie reagieren die Kinder auf das Engagement ihrer Eltern? Was macht die Mama da?

NH (lacht): Nein, nein, die sind ganz glücklich. Das Schönste finde ich, dass auch die Schülerinnen und Schüler zu uns kommen.

HH: Sehr gut!

NH: Ich will mal ein Beispiel vom Mittagstisch erzählen. Die sechsten Klassen kamen zum Schluss und hatten weniger zu essen gehabt. Andere Schüler hatten sich die doppelte oder dreifache Portion genommen. Das hat sie bewegt und sie sind zu uns gekommen. Weißt du was, wir haben immer so wenig zu essen, weil die anderen das vorher aufgegessen haben. Das konnten wir dann mit der Leitung bereden und andere Wege finden. Dass das Essen für jeden extra portioniert wird. Und nicht der eine das Doppelte und der andere nur die Hälfte bekommt. Das war auch schön. Oder wenn die Schüler Probleme mit den Lehrern und Erziehern hatten, sind die auch zu uns gekommen. Weißt du Tante, sie haben immer Tante zu uns gesagt, in der Immigranten-Community, einfach aus Respekt, keine Verwandtschaft. Wenn die zum Beispiel angemacht worden sind, und das war total zu unrecht, natürlich hat das die Kinder bewegt, dann haben wir das mit der Klassenlehrerin oder dem Erzieher besprochen und haben dann Lösungswege gesucht. Wir haben gesehen, das hat echt angeschlagen. Das hat auch im Kiez angeschlagen und es gab Mundpropaganda. Das ging wie so ein Blitzlicht. Es verändert sich etwas. Die Veränderung kam auch so, weil ich mein Kind normalerweise niemals bei der Neumark-Schule anmelden würde als eine Werbellinsee-Mutter. Die Veränderung kam, als die Leute gesehen haben, dass mein Kind auf der Neumark-Grundschule ist. Ich bin ja schon seit 40 Jahren hier und wir haben eine Vertrauensbasis. Die waren immer so neugierig: wie ist es da? Wie ist das da mit den Lehrern? Ich habe davon erzählt und habe dann auch andere „Fachmütter“ in die BildungsbotschafterInnen-Kurse geholt, so wichtige Personen, bei denen ich wusste, die können wirklich noch den Kiez verändern.

HH: Wer sind die Fachmütter? Wodurch zeichnen die sich aus?

NH: Die Fachmütter zeichnen sich aus, weil sie selber Kinder haben und weil sie viel Erfahrung haben, weil sie selbst hier in die Schulen gegangen sind und auch die gleichen Problematiken erlebt haben. Ich wusste, genau diese Menschen müssen mit zu diesem Kurs und die müssen sich in diesem Kiez verteilen und an den Baustellen mit arbeiten.

HH: Die BildungsbotschafterInnen gibt es jetzt seit ungefähr zehn Jahren, habe ich das richtig verstanden?

NH: Ja, seit zehn oder elf Jahren.

HH: Und gibt es die BildungsbotschafterInnen nur in Berlin oder gibt es eure Initiative auch in anderen Städten?

NH: In Berlin-Neukölln, in Lichtenrade, wir haben sie auch in Tiergarten-Süd und im Schöneberger Norden. Ich war einmal bei so einem Fachtag, da nahm auch jemand aus Hamburg teil. Ich weiß nicht, ob die sich auch BildungsbotschafterInnen nennen, aber die haben sich unser Modell so ein bisschen abgeguckt und wollten das auch in Hamburg so machen wie wir hier.

HH: Ihr seid also auch Vorbild für ähnliche Projekte mit Engagement von Eltern in anderen Städten in Schulen und in der Weiterbildung.

Botschaften haben in einem anderen Staat oder – wie in eurem Projekt: in einer Stadt – einen eigenen Auftrag. Wie würdest du die Botschaft der BildungsbotschafterInnen beschreiben? Mit welcher Botschaft seid ihr unterwegs?

NH: Meine Botschaft war erst einmal, verstanden zu werden. Das war für mich ganz wichtig, weil ich das Gefühl hatte, von meinen Eltern aus, dass die nicht verstanden und auch nicht anerkannt wurden, weil ihnen auch die Sprache dafür gefehlt hatte. Erst einmal wollte ich verstanden werden, ich wollte angenommen werden, weil die ja mein Kind auf ihre Schule nehmen und da wollte ich ein Mitrederecht haben.

HH: Ich gehe noch mal zurück zum Bild der Botschaft. Ihr seid ja keine Diplomaten, bei der Bundesregierung akkreditiert und in einem schönen Gebäude und mit dicken Autos. Aber ihr habt eine Botschaft an die Schulgemeinden, also die Lehrer und Erzieher, die Eltern und Schüler. Wie würdest du den Lernprozess beschreiben, den die Lehrerschaft durch euer Engagement begonnen hat?

NH: Die hat sich sehr verändert. Die haben angefangen, sich zu verändern. Sie haben gelernt, unsere Gefühle zu verstehen. Wir konnten ihnen zum Beispiel sagen: Mein Kind hat in der Nacht schlecht geschlafen und ist vielleicht an dem Tag unruhig oder müde. Die Kommunikation hat gefehlt, das Miteinander. Sie können uns nun viel besser verstehen. Sie können auch viel leichter zu uns kommen. Heute hatte ich zum Beispiel im Eltern-Café einen Referenten zum Thema Mobbing und Hate-Speech. Ich hatte das der Lehrerin angekündigt, weil es in der Klasse bei einem Ausflug einen Vorfall gegeben hatte. Da waren Leute, die haben sich Spritzen und Drogen genommen und unsere Klasse hat sich ein bisschen daneben benommen, weil sie die angemacht haben. Die Lehrerin hat mich danach angerufen. Es gab so einen Vorfall mit den Kindern, was können wir machen? Dann habe ich einen Referendar, den ich schon kannte, in die Schule erst mal zu den Eltern gebracht, damit die aufgeklärt werden, und dazu die Lehrerin eingeladen, damit sie den Mann auch kennenlernt und mit ihm vielleicht mit der Klasse einen Workshop macht, was man tut, wenn die Schüler sich daneben benommen haben. Dass man die Leute in Ruhe lässt, sie nicht anmacht und einfach vorbeigeht. Das hat uns sehr weit gebracht, über das gemeinsame Arbeiten.

HH: Kommen wir noch mal zurück zu den Ausbildungen, die ihr selber für euch organisiert, also die Kurse. Was macht ihr da?

NH: Das Programm ist kostenlos. Man trifft sich und lernt zum Beispiel: wie lernt ein Kind, wie rede ich mit einem Lehrer oder einer Lehrerin. Das sind insgesamt 18 Unterrichtseinheiten. Davor gibt es noch ein Elternseminar. Dabei werden wir von Koordinatorinnen unterstützt. Die bringen uns das alles bei. Wie das aussehen soll, wie man sich verhalten soll und wie man zu einem guten Gespräch kommt. Solche Sachen lernen wir.

HH: Und wie gewinnt ihr andere Eltern dafür, an einem solchen Programm teilzunehmen?

NH: Die gewinnen wir erst mal mit unseren Gesicht. Ich bin ja hier schon über vierzig Jahre. Ich kenne hier viele Leute und sie kennen mich. Und wir wissen auch, dass dieser Kurs gut für die Leute ist. Wir reden sie dazu auch direkt an und sagen ihnen, da findet jetzt so ein Kurs statt. Das ist eine Fortbildung für dich und außerdem ist es gut für dein Kind. Es ist für euch beide wichtig und ich glaube, da passt du gut rein. So überreden wir die dann. Und wenn sie noch zögern, dann sagen wir ihnen, da passt du ganz gut rein und ich denke, dass du das schaffen wirst.

HH: Das ist eine eigene Kunst. Ich kann mir die Scheu von Eltern lebhaft vorstellen. Ihr baut eine Brücke. Ihr zeigt den Leuten, dass die Brücke belastbar ist, dass sie darüber gehen können und gut auf die andere Seite kommt. Verstehe ich das so richtig?

NH: Deswegen heißen wir auch „die Brückenbauer“, weil wir die Brücken bauen zwischen Elternschaft und Schulen. Wir sind jetzt noch einen Schritt weiter gekommen und auch als Stadtteilmütter unterwegs. Wir werden in die Familien reingehen.

HH: Was macht eine Stadtteilmutter?

NH: Eine Stadtteilmutter hat viel Erfahrung mit Bildung. Dafür gibt es eine eigene sechsmonatige Fortbildung mit zehn Modulen. Dabei geht es um Erziehung, um Entwicklung, um Kinder- und Elternrechte und wie man mit Konflikten umgeht, um Drogen- und Medienkonsum. Mit diesen Modulen werden wir in die Familien reingehen und sie darüber informieren. In Berlin gibt es zur Zeit ungefähr 200 Stadteilmütter. Unser Team am Pestalozzi-Fröbel-Haus besteht aus zwei türkischsprachigen, zwei arabischsprachigen und einer farzisprachigen Stadtteilmüttern.

HH: Werdet ihr öffentlich gefördert?

NH: Ja. Als BildungsbotschafterInnen arbeiten wir ehrenamtlich. Wir werden vom Pestalozzi-Fröbel-Haus finanziert. Das wird mit Landesmitteln gefördert.

HH: Das wäre ein Vorbild für ähnliche Initiativen in anderen Städten. Habt Ihr auch Kontakte außerhalb von Berlin?

NH: Das nicht, aber ähnliche Projekte gibt es in Köln, Hamburg und Wuppertal. In Berlin sind inzwischen über zweihundert Stadtteilmütter unterwegs, in Neukölln, in Lichtenrade, Kreuzberg und in Tempelhof. In Schöneberg hatten wir bisher nur eine Person gehabt, die war dann wie ein Springer überall unterwegs. Wir sind jetzt die erste Gruppe mit zwei Türkischsprachigen, einer Arabischsprachigen und einer Farsisprachigen.

HH: Das klingt so, als befänden sich Dahlem, Zehlendorf und Friedenau als bürgerliche Inseln wie auf einem anderen Planeten. Oder sind die auch an Projekten wie Eurem beteiligt?

NH: Wir sind angedockt an das Familienzentrum in Friedenau. Da arbeiten wir mit Personen, die mobile Beratung machen, die Elternschaft befragen oder hinterfragen: was braucht ihr oder wie kann man euch besser unterstützen. Braucht ihr Räume.

HH: Jetzt noch mal zurück zu Werbellinseeschule und Neumarkschule. Du hattest ja zu Beginn gesagt, du seist eigentlich eine Werbellinsee-Mutter. Wie kommt es dazu, dass durch die Arbeit der BildungsbotschafterInnen das Ansehen einer Schule sich verändert?

NH: Durch die Mitarbeit. Wir haben dafür den Raum gekriegt, um Eltern zu zeigen, dass es sich lohnt, gemeinsam für unsere Kinder und ihren Bildungsweg zu arbeiten.

HH: Du hattest anfangs davon geredet, dass Eltern ihre Kinder lieber bei einer anderen Schule anmelden. Hat eure Arbeit dazu beigetragen, dass sich das Ansehen der Schule gebessert hat?

NH: Wir arbeiten auch an der Spreewald-Schule.. Das hat sehr abgenommen. Dank unserer Arbeit. Anfangs hatte die Neumarkschule zwei erste Klassen, jetzt hat sie vier.

HH: Nun kommen wir am Schluss noch zu einem Thema, das die letzten beiden Jahre für viele Eltern mit Kinden nicht nur in Berlin zu Problemen geführt hat: die Corona-Pandemie. Geschlossene Schulen, das Testen, der Fernunterricht. Wie habt Ihr darauf Einfluss genommen und dazu beigetragen, Probleme zu lösen?

NH: Das stimmt, wir haben in der Zeit uns in ganz Berlin eingesetzt, nicht nur in unserer Nachbarschaft. Ich habe telefonisch und über Whatsapp Eltern und Lehrern in ganz Berlin geholfen, übersetzt und Verbindungen hergestellt. Wir haben vielen Eltern bei den Hausaufgaben ihrer Kinder geholfen, über Video Chats Aufgaben erklärt und auf Briefe von den Schulen geantwortet, nicht nur an den Grundschulen, auch an den Oberschulen. Das war echt anstrengend für uns, das alles hinzukriegen und daneben auch noch den eigenen Haushalt zu organisieren.

HH: Das Zusammenleben, Zusammenlernen und Zusammenarbeiten zwischen Eltern, Lehrern und Kindern hat sich dank eurer Arbeit verbessert. Vielen Dank, Nurten, für dieses Gespräch, und weiter viel Erfolg bei Eurer Arbeit!

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